Von Fabelwesen und dem Wesen des Nichts-Tuns: Wie stilles Hinnehmen unsere Welt grau werden lässt

  • Teil 1: Eine Ode an das Lesen

    Also, es war ein ganz normaler Mai Abend, als ich im Netz so herumsurfte und über einen ZDF-Bericht stolperte.

    Die IGLU-Studie über Leseschwierigkeiten bei unseren Kids.

    Schlagartig zog sich bei jedem gelesenen Satz mein Herz zusammen. Es war, als hätte jemand mir die Luft weggezogen. Unsere Kleinen, die den Zauber der Wörter nicht mehr entdecken können – das tat weh!

    Wer weiß noch, wie es sich anfühlt, ein Buch in der Hand zu halten? Das Rascheln der Seiten, der Duft der Tinte – das ist doch etwas Besonderes. Ein Erlebnis, das verbindet, uns Neues zeigt und uns auf unbekannte Wege führt.

    Damals, als ich noch ein Kind war, war jedes Buch für mich ein Abenteuer. Bei jedem Umblättern eine neue Welt, mit Fabelwesen, hohen Bergen und tiefen Ozeanen, durch die Zeit reisen – das war großartig.

    Ich erinnere mich noch gut an „Momo“ von Michael Ende. Kennt ihr die grauen Herren? Die fiesen Gestalten, die uns die Zeit klauen wollen. Für mich ein Symbol für das, was passiert, wenn unsere Kinder nicht mehr lesen. Bücher waren für mich immer wie Tore in eine andere Welt. Und ich werde nicht zulassen, dass sich diese Tore für unsere Kinder schließen.

    Aber jetzt? Unsere Kids verlieren das. Sie verlieren nicht nur die Freude am Lesen, sondern die Chance, neue Welten zu entdecken, kreativ zu sein und ihren Horizont zu erweitern.

    Das ging mir echt nah. Es war, als hätte jemand einen Grauschleier über die bunten Welten meiner Fantasie gelegt. Aber ich bin eine Kämpferin. Ich glaube an die Macht der Worte und die Magie der Bücher.

    So kam es, dass ich an diesem Abend eine Entscheidung traf. Es reichte mir nicht, nur darüber zu reden, wie schlimm das ist. Ich wollte etwas ändern. Ich wollte den Kindern helfen, ihren eigenen Farben in diesen grauen Alltag zu malen. Einfach aktiv werden, einen Plan machen und etwas tun, um die Situation zu verbessern.

    Denn oft ist das Einfachste das Schwierigste: Nicht einfach nur still sitzen und nichts tun. Dieser Ton wird sich durch diesen Blog und mein Engagement ziehen.

    Der Startschuss ist gefallen, und ich lade euch ein, mich auf diesem Weg zu begleiten. Lasst uns gemeinsam unsere Kinder wieder die Abenteuer erleben lassen, die in den Seiten der Bücher auf sie warten. Lasst uns die Welt wieder bunt machen.

    Dieser Blog ist der erste Schritt auf dieser Reise. Im nächsten Beitrag erzähle ich euch von meinen ersten Aktionen.

    Also, bleibt dran, gemeinsam können wir etwas bewegen!

    Nicole Feldberger

  • Teil 2: Lesen braucht Raum

    In Teil 1 dieses Blogs wurde ich durch eine alarmierende IGLU-Studie getriggert, die zeigte, dass viele unserer Kinder den Zauber des Lesens verlieren. Diese inspirierenden Worte und Geschichten, die in meiner Kindheit Türen zu neuen Welten öffneten, scheinen für viele Kinder heute verschlossen. Doch anstatt nur zuzusehen, habe ich mich entschlossen, aktiv zu werden. Nun, drei Wochen später, setzen wir unsere Reise fort…

    Ich beginne Gespräche zu führen. Mit Lehrern, Schulleitern, Eltern. Ich teile meine Gedanken mit meinen Freunden, bespreche meine Pläne mit meinem Mann und auch meine Mutter hört sich meine Ideen an. Ein besonders emotionaler Moment ist das Gespräch mit meinen drei Kindern und ihren Schulkameraden. Ihre jugendliche Sichtweise und Unvoreingenommenheit berühren mich zutiefst und motivieren mich weiter. Eine Erkenntnis aus den Gesprächen, die mich vor allem anderen nicht zur Ruhe kommen lässt: Lesen benötigt Raum – einen Raum zum Träumen, zum Lernen, zum Wachsen.

    Natürlich gibt es Ängste und Befürchtungen. Als Leiterin eines gewinnorientierten Unternehmens gerate ich schnell unter Generalverdacht, wenn ich soziale Projekte ins Leben rufe. Fragen kommen auf: Ist das nur eine PR-Aktion? Stecken dahinter versteckte Interessen? Ist das Greenwashing? Und ja, es besteht die Sorge, dass ich dem Shitstorm von Trollen ausgesetzt sein könnte, die ihren Frust an mir auslassen wollen, weil sie vielleicht meine Absichten nicht verstehen oder einfach nur Lärm machen wollen.

    Dann gibt es noch die Bedenken, dass ich hier bei uns beginne, obwohl es an anderen Orten dieser Welt vielleicht noch dringender ist. Es gibt so viele Orte, an denen das Leid unvorstellbar groß ist, und dennoch sehe ich den Bedarf hier. Das bedeutet nicht, dass ich das Leid anderswo ignoriere. Im Gegenteil, es bestärkt mich nur in meiner Überzeugung, dass wir überall, wo wir können, einen Unterschied machen sollten.

    Doch bei all diesen Ängsten und Befürchtungen gibt es etwas, das sie überwiegt: Mein Wunsch, etwas zu verändern. Die Überzeugung, dass Lesen den Kindern Raum geben kann, um zu wachsen und zu lernen. Und auch wenn diese Ängste da sind, so ist da auch der unerschütterliche Rückhalt, den ich in meiner Familie finde. Mein Mann steht fest an meiner Seite, und ich weiß, dass ich diesen Weg nicht alleine gehen muss. Ja, es sind die leisen Töne, die uns bewegen und in der Stille den größten Klang erzeugen – und diese Töne möchte ich hörbar machen.

    Die Frage der Finanzierung ist ein weiterer Gedanke, der mich umtreibt. Wie soll all das bezahlt werden? Ein großes Vorhaben, das viel Geld benötigen wird. Plane ich zu groß? Schieße ich über das Ziel hinaus? Doch ich bin entschlossen, diese Hürde zu nehmen.

    Als ob das Universum mir zustimmt, bietet sich plötzlich eine wunderbare Gelegenheit: Direkt unter meinem Büro, mitten in der Stadt, steht ein heller, einladender Raum mit 80 Quadratmetern zur Verfügung. Der perfekte Ort, um Kinder zum Lesen zu inspirieren. Ein Ort, an dem unsere Initiative Gestalt annehmen kann. Und so unterschreibe ich den Mietvertrag – ein weiterer Schritt in Richtung Veränderung.

    Die Reise hat gerade erst begonnen und wir sind mitten drin. Eine Vision? Check. Einen Raum? Check. Entschlossenheit im Überfluss? Check. Wir haben die Entschlossenheit, etwas zu bewegen und gemeinsam die Welt ein Stück farbenfroher zu gestalten. Doch unser Projekt braucht einen Namen. Dies ist ein Kapitel für sich, geprägt von ‚Krafttieren‘ und ‚pädagogischen Ersthelfern‘. Also bleib dran und erfahre mehr über den nächsten Schritt auf dieser spannenden Reise.

    Nicole Feldberger

  • Teil 3: Tadelnder Nachwuchs und Krafttiere

    Im letzten Teil unserer Reise sind wir dem Herzen unseres Projekts nähergekommen – einem leuchtenden Raum mitten in der Stadt, wo Kinder die Magie des Lesens entdecken können. Zeitgleich standen wir vor der Herausforderung, diesem Ort einen Namen zu geben, der seine Bedeutung und unseren Traum widerspiegelt. Und das, liebe Leser, war das Abenteuer, das nun vor uns lag…

    Die Benennung eines Projekts ist mir nie wirklich leicht gefallen. Für mich fühlt es sich oft so an, als würde ich einem Neugeborenen einen Namen geben. Mit der Namensgebung wird etwas Konkretes geboren, es erhält eine Identität, wird greifbar – das schwebt mir immer im Kopf und ich mache es mir nicht leicht. Diesmal habe ich mir besonders viel Mühe gegeben, denn es ist für mich sicher eines der emotionalsten Vorhaben, die ich in meiner bisherigen Karriere je gestartet habe. Ich habe mir große Mühe gegeben und einen fantastischen Namen für das Projekt erarbeitet.

    Um das so wenig emotional wie möglich darzustellen: Es hat mich bis ins Mark getroffen, als meine Kinder den Namen „Tag des offenen Buches“ nicht so enthusiastisch aufnahmen, wie ich es mir vorgestellt hatte, meine Jüngste mich mit den Worten, „Mama, das ist so ’na ja‘ – das kannst du besser“, tadelte. Meine Familie fand meine Idee schlichtweg furchtbar. Also zurück zum Anfang. Mit einer Mischung aus Enttäuschung und Frustration bat ich um „Unterstützung“.

    Ich bin nicht allein, meine Familie ist wie immer an meiner Seite, das ist unser Familien-Projekt. Wir fragten unser Netzwerk und unsere Freunde um Rat. Einen entscheidenden Impuls für die Namensfindung erhielten wir durch die Basketballgruppe meines Mannes, die überwiegend aus Pädagogen besteht. Darunter auch unser Nachbar, ein Schuldirektor, der uns darauf hinwies, dass der Name Kinder ansprechen und identifikationsstiftend wirken muss. Vielleicht bräuchten wir ein Logo mit einem Tier, das Kinder anzieht und Lust auf Lesen macht.

    Genau an dieser Stelle kommt mein Mann ins Spiel. Er ist Informatiker, aber in vielerlei Hinsicht besonders. Man könnte fast sagen: erfreulich ungewöhnlich! So näht er beispielsweise mit Hingabe auf seiner Singer-Nähmaschine – nicht die einzige Fähigkeit, die ich an ihm liebe. Und obwohl er eigentlich nicht viel für Spiritualität übrig hat, hat er ein Krafttier: den Kolibri, sein Wunsch-Tattoo, das er gerne auf der Haut tragen würde, seit ich ihn kenne. Für meinen Mann steht dieser kleine Vogel für Freiheit. Sein Kolibri verkörpert Ruhe und Schönheit, kann still in der Luft schweben und symbolisiert damit die Möglichkeit, jederzeit innezuhalten und zu verweilen. Ganz wie beim Lesen. Ein Kolibri im Namen – was für eine wundervolle Idee! Aber noch sind wir nicht am Ziel, der Name soll unmissverständlich für unsere Idee stehen, unverwechselbar sein.

    Wir betrachten den Raum, den wir just anmieten. Er hat große Schaufenster, die über zwei Seiten des rechteckigen Raums gehen. Ein lichtdurchfluteter, offen wirkender Raum in der Ecke – eine einladende und gemütliche „Leseecke“. Es war ein Begriff, der mich sofort an meine Kindheit erinnerte, an die gemütliche Leseecke in unserem Kindergarten. Und dann war es da, der perfekte Name, der all das zusammenfasst, was wir erschaffen wollen: „Kolibris Leseecke“. Ein Name, der unsere Werte verkörpert und hoffentlich viele Kinder dazu inspiriert, die Freude am Lesen zu entdecken und zu behalten.

    Den Nachwuchs-Test galt es jetzt noch zu bestehen – mein Mann hat einen ganzen Sonntag lang gephotoshoppt, damit er unseren Kids ein Bild und nicht nur einen Namen präsentieren kann. Volltreffer, die Kinder waren zufrieden. Und ich überglücklich. Der Name passt zum Projekt, ich kann mich damit identifizieren. Und ein Highlight, der von uns angemietete Raum, die Schaufenster, sie gehen um die Ecke. Wie wunderbar, Kolibris Leseecke passt einfach perfekt.

    Unsere Idee nimmt Gestalt an. Uns wird die Größe unseres Vorhabens klar und wir merken, dass wir Unterstützung benötigen werden. Bleibe dran und erfahre mehr über den nächsten Schritt auf dieser spannenden Reise.

    Nicole Feldberger

  • Teil 4: Die Suche nach den magischen Sieben

    Seit dem letzten Update ist viel passiert – die Idee nimmt Form an, wir haben einen Raum, einen Namen und nun geht es darum, die richtige Organisationsform zu finden, die unsere Initiative langfristig und nachhaltig unterstützt. Da kommen verschiedene Optionen in Betracht: ein Arbeitskreis, eine Stiftung, ein Verein. Allerdings zeichnet sich in meinen Überlegungen immer mehr ab, dass ein eingetragener Verein (e.V.) die beste Wahl für „Kolibris Leseecke“ wäre.

    Ein eingetragener Verein benötigt sieben Gründungsmitglieder. Da sind natürlich mein Mann und ich, und auch unsere Kinder sind mit an Bord. Unsere Älteste ist volljährig, steckt aber gerade in den Startlöchern ihres Studiums. Die beiden Jüngsten sind noch keine 14 und somit noch nicht berechtigt, sich in der Vereinsgründung aktiv zu beteiligen. Daher brauchen wir noch mindestens vier, besser fünf, weitere Mitstreiter.

    In meinen Gedanken kreisen die Namen meiner Freunde, Bekannten, Kollegen. Da ist Tanja, eine wundervolle Frau, die ich schon immer bewundert habe. Jedes Gespräch mit ihr ist eine Bereicherung, sie hat einen klaren Kopf und ein großes Herz. Sie wohnt allerdings in Hessen, weit weg von uns, und trotzdem – oder gerade deswegen – würde ich mich so freuen, wenn sie mit an Bord käme. Daher werde ich sie treffen, ihr meine Idee vorstellen und hoffentlich kann ich sie für unsere Sache begeistern.

    Die Vorfreude auf das Treffen mit Tanja mischt sich mit der Sorge um die vielen Gesetzestexte, die ich lesen muss, um die Vereinsgründung zu verstehen und voranzubringen. Ich spüre den Druck, schnell voranzukommen und gleichzeitig alles richtig zu machen. Der Verein wird Geld benötigen, und das nicht zu knapp. Wir wollen qualifizierte Mitarbeiter gewinnen, die unsere Idee mittragen und sie vorantreiben.

    Ich merke, wie sich die Aufregung und das Adrenalin in meinem Körper breitmachen, ein aufregendes und doch unheimliches Gefühl. Das Tempo ist atemberaubend, und manchmal habe ich das Gefühl, es geht zu langsam und gleichzeitig zu schnell. Aber diese Angst ist auch Antrieb. Sie hält mich wach, lässt mich nach vorne schauen, treibt mich an. Ich weiß, dass wir auf dem richtigen Weg sind, auch wenn er uns manchmal vor große Herausforderungen stellt.

    Und trotz der Unsicherheit weiß ich, dass ich bereit bin, das Risiko einzugehen. Ich bin bereit, meine Idee in die Tat umzusetzen, um Kindern die Möglichkeit zu geben, die Magie des Lesens zu entdecken. Und ich weiß, dass wir das schaffen können. Mit meiner Familie, meinen Freunden und hoffentlich auch Tanja an meiner Seite.

    Nächster Halt: Vereinsgründung – auf der Suche nach den sieben Gründungsmitgliedern. Wir halten dich auf dem Laufenden.

    Nicole Feldberger

  • Teil 5: Ein Thron für Kolibris

    Es fühlt sich an wie ein Wettlauf gegen die Zeit. Die Ereignisse überschlagen sich, und meine Gedanken kreisen unaufhörlich um unser großes Projekt. Ein Tag vor meiner Reise nach Hessen, wo ich Tanja treffen und für „Kolibris Leseecke“ begeistern möchte, ist die Aufregung groß. Doch sie vermischt sich mit einem weiteren Gefühl: Vorfreude.

    Unsere Handwerker haben ihre Materialien angeliefert und mitten im Durcheinander steht er nun – unser Lese-Thron. Eine prächtige Sitzgelegenheit, die wir aus der Schweiz organisiert haben. Es war ein mühsamer Prozess, gefüllt mit langen Briefen und organisatorischen Herausforderungen, aber es ist geschafft: der Thron steht in Kolibris Leseecke. Er verkörpert für mich den Kern unserer Vision – einen Ort zu schaffen, wo jedes Kind sich wie ein kleiner König oder eine kleine Königin fühlen kann, regierend über das eigene Reich der Fantasie und Kreativität, das durch das Lesen entsteht.

    In den nächsten Tagen soll es losgehen, der Boden wird verlegt, die Elektrik neu installiert und die Technik eingebaut. Ein Blick in den Kalender versetzt mein Herz in einen Galopp. Nur noch zwei Wochen, bis ich selbst in die Ferien fliege und für drei Wochen hier Stillstand herrscht. Es ist ein Balanceakt – das Adrenalin des Fortschritts gegen die scheinbar endlose To-Do-Liste abzuwägen. Aber es ist genau das, was ich an diesem Projekt so liebe: die Dynamik, die Herausforderungen, die vielen kleinen und großen Erfolgserlebnisse.

    Es ist dieses Zwiespalt zwischen Freude und Anspannung, zwischen rasanter Geschwindigkeit und gleichzeitig dem Bewusstsein, dass wir uns immer noch am Anfang befinden. Es ist ein Gefühl, das mich beflügelt und gleichzeitig auf dem Boden hält. Es ist das, was ich am besten mit dem Satz zusammenfassen kann: „Es geht voran, aber der Weg ist noch lang.“

    Doch mit jedem weiteren Schritt auf dieser Reise, mit jedem Fortschritt, der gemacht wird, wird mir klar, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Mit jedem Tag, der vergeht, nimmt „Kolibris Leseecke“ mehr Gestalt an. Mit jedem Tag, der vergeht, sind wir unserem Traum ein Stück näher.

    Inmitten des Chaos sitze ich auf unserem Thron und schaue auf die Baustelle, die bald eine leuchtende Leseecke für Kinder sein wird. Mit einem Lächeln auf den Lippen und der Gewissheit im Herzen, dass wir es schaffen werden.

    Bis zum nächsten Update,

    Nicole Feldberger

  • Teil 6: Wegkreuzungen

    Während der Autofahrt nach Darmstadt ist die Stille im Wagen greifbar. Mein Mann und ich sind auf dem Weg zu Tanja, einer alten Freundin, mit der Hoffnung, sie für „Kolibris Leseecke“ zu begeistern. Gleichzeitig sind unsere Kinder auf dem Weg zu ihrer Oma, alleine mit dem ICE. Eine Mischung aus Stolz und Sorge durchströmt mich – stolz, dass sie den Mut haben, ihren eigenen Weg zu gehen und sorgenvoll, ob alles gut gehen wird. Ich kann mir lebhaft die Szenarien ausmalen, die eine Zugverspätung verursachen könnten: Das unerklärliche Phänomen einer Signalstörung, die scheinbar nur auftritt, wenn es am wenigsten passt. Der unerwartete Personenschaden, der jeden Reisenden stumm das Schicksal der betroffenen Person bedauern lässt. Oder auch der klassische technische Defekt, der die Fahrgäste in ein unfreiwilliges ‚Wer-kennt-sich-am-besten-mit-Bahntechnik-aus‘-Spiel verwickelt. Bei all diesen Gedanken schmunzele ich in mich hinein und versuche, die aufkommenden Sorgen wegzuschieben, um mich auf das bevorstehende Treffen mit Tanja zu konzentrieren.

    Wir treffen Tanja zu Hause und nehmen unseren gemeinsamen Weg zum „Shiraz“, einem angesehenen persischen Restaurant, auf. Unsere Strecke führt uns am markanten Georg-Christoph-Lichtenberg-Haus entlang der Dieburger Straße vorbei. Dieses einst als Hotel erbaute und später zu einem Adelssitz umgewandelte Gründerzeitgebäude hält standhaft der allzu monotonen Struktur der Beton- und Glasbauten stand, die versuchen, das ästhetische Erscheinungsbild der Straße zu beherrschen. Seine Präsenz ist ein leises, aber bestimmtes Statement gegen eine scheinbar lustlos anmutende und eintönige Moderne. Wie ich bereits im 2. Teil des Blogs betonte: „Ja, es sind die leisen Töne, die uns bewegen und in der Stille den größten Klang erzeugen“ – passt auch hier gut. Unweit davon entdecken wir die Ateliers einheimischer Künstler, deren kreative Ausstrahlung dem städtischen Panorama einen lebendigen Hauch verleiht.

    Während wir uns durch die aktiven Straßen von Darmstadt bewegen, tauschen wir Neuigkeiten aus unseren Leben aus. Tanja spricht von den Höhen und Tiefen, die sie in den letzten Jahren erlebt hat. Es ist offensichtlich, dass diese Erlebnisse sie geformt haben, sie stärker und weiser gemacht haben. Doch trotz aller Veränderungen ist sie immer noch die kluge, lebensbejahende und faszinierende Frau, die ich kenne und schätze.

    Im „Shiraz“ kommen wir schließlich zu einem weiteren Grund unseres Treffens – während des Essens erklären mein Mann und ich ihr das Projekt „Kolibris Leseecke“. Ich bin beeindruckt, wie gut wir als Team harmonieren. Wo ich Lücken lasse, springt er ein, wo er pausiert, nehme ich den Faden auf. Unsere vorherigen Gespräche über das Projekt haben offensichtlich Früchte getragen.

    Tanja lauscht unseren Ausführungen mit bemerkenswerter Aufmerksamkeit. Sie hat Fragen, zahlreiche Fragen, und das lässt mein Herz hüpfen. Sie hat Interesse, das ist klar, aber sie möchte nicht nur eine nominelle Figur sein – wenn sie ein Teil unseres Projekts wird, dann will sie mit ganzem Herzen und voller Engagement dabei sein. Sie äußert jedoch Bedenken, was ihre tatsächlichen Möglichkeiten betrifft. Die Distanz zwischen uns und ihre gegenwärtige Lebensphase, die von hohen Anforderungen geprägt ist, stellen echte Hürden dar. Ihre Sorgen liegen nicht darin, sich nicht genug engagieren zu können, sondern darin, ob es ihr möglich sein wird, aktiv mitzuwirken. Sie bringt das mit einer für sie typischen aufrichtigen Direktheit zum Ausdruck.

    Aber wir brauchen Tanja, und ich hoffe, dass jede meiner Äußerungen diese unausgesprochene Botschaft transportiert: ‚Tanja, du bist genau die Richtige für dieses Projekt. Dein scharfer Verstand und dein großes Herz sind genau das, was ‚Kolibris Leseecke‘ braucht. Bitte sag ja.‘ Ich betone immer wieder, wie ernst wir ihre Bedenken nehmen und dass wir alles tun werden, um sicherzustellen, dass ihr Engagement für ‚Kolibris Leseecke‘ mit ihrem derzeitigen Lebensstil harmoniert. Ein entschiedenes „Ja“ von Tanja bleibt aus, ihre Bedenken scheinen eine stärkere Tendenz zum „Nein“ aufzuweisen.

    Unsicherheit und Antizipation erfüllen den Raum. In meinem Inneren spüre ich einen Sturm aus Hoffnung und Enttäuschung. Meine Gefühle sind ebenso ungewiss und aufgehängt wie Tanjas endgültige Entscheidung. Mein Mann spürt diese Stimmung und beginnt, das Projekt im Detail zu besprechen, die Planung, die Lücken und noch offene Fragen. Tanja hört aufmerksam zu und begibt sich langsam in den Dialog, indem sie Hinweise gibt und mögliche Lösungswege aufzeigt. Die Temperatur im Raum scheint zu steigen, eine verhaltene Aufbruchstimmung macht sich breit.

    Und da ist es wieder, dieses Gefühl in mir: Im Herzen bin ich bereits fest davon überzeugt, dass wir Tanja nicht nur als Mitglied brauchen, sondern als unsere kluge Kritikerin, als jemanden, der uns hilft, unsere Ideen zu prüfen und zu verbessern. Ihre Präsenz, ihre Weisheit, ihr kritischer Geist – sie sind unverzichtbar für uns.

    Unsere Diskussion findet ihren Höhepunkt und dann, fast überraschend, kommt es: Tanjas „Ja“. Noch in der Schwebe, zwischen den Worten und Gedanken, zwischen den Möglichkeiten und Fragen, entscheidet sie sich dafür, den Weg mit uns zu gehen. Ihr Ja ist nicht nur eine Zustimmung, sondern eine Verpflichtung, eine Zusage. Sie ist bereit, sich mit uns auf dieses Abenteuer einzulassen, ihre Weisheit und ihren kritischen Geist in unser gemeinsames Projekt einzubringen. Trotz ihrer anfänglichen Bedenken, trotz der Unklarheiten und Unwägbarkeiten, entscheidet sie sich dafür, Teil von uns zu sein. Und in diesem Moment, da Tanjas „Ja“ den Raum erfüllt, spüre ich eine tiefe Erleichterung und Freude. Denn ihr „Ja“ ist auch ein Zeichen des Vertrauens – in uns, in das Projekt, in die Zukunft, die wir gemeinsam gestalten werden. Es ist ein großes Geschenk, und ich bin überglücklich, sie an unserer Seite zu wissen.

    Der Erfolg dieses Treffens lässt mein Herz höher schlagen. Dieser zweite, bedeutsame Meilenstein, den wir erreicht haben, bekräftigt meinen Glauben an unser Projekt. Mit Tanjas Zustimmung offenbart sich das großartige Potential der „Kolibris Leseecke“. Ich bin überzeugt, dass unsere gemeinsame Leidenschaft für das Lesen uns auf diesem spannenden Abenteuer leiten wird.

    Ich freue mich schon auf die kommenden Treffen mit den anderen Gründungsmitgliedern und bin zuversichtlich, dass sie ebenso begeistert sein werden wie Tanja.

    Bis dahin,
    Nicole Feldberger

  • Teil 7: Der erste Rückschlag

    Und da ist er, der erste Rückschlag. Die Vereinsgründung, die mir zu Beginn als leuchtender Pfad zur Verwirklichung von „Kolibris Leseecke“ erschien, taucht plötzlich in Schatten. Mit jedem eintauchen in Statuten, Gesetzen und Vereinsgeschichten wächst ein Gewicht auf meinen Schultern, ein Gefühl der Beklemmung.

    In meinem Inneren entfacht sich ein Sturm aus Fragen: „Was, wenn durch zunehmende Mitgliederzahlen die Richtungsgebung des Vereins kippt? Was, wenn im Sog des Erfolgs, den ‚Kolibris Leseecke‘ sicherlich ernten wird, kompromittierende Strömungen entstehen?“ Eine stille, leise Stimme versucht zu beruhigen: „Das kannst du steuern, oder nicht?“ Doch der Gegenwind lässt nicht nach: „Aber was, wenn ich es nicht kann? Und wenn es mir entgleitet? Dies ist mein Kind, mein Projekt, die Verwirklichung eines Traums. Was, wenn es seine Seele verliert?“ Die Zweifel, sie winden sich, finden keinen Halt.

    Die Realität zerrt mit unerbittlicher Härte: Anwaltstermine, Beraterkosten, Zeitverzug. Der beklemmende Griff der Unsicherheit wird fester, während ich die Zahlen kalkuliere, und nicht zuletzt der bevorstehende Urlaub verdunkelt die Aussicht auf einen pünktlichen Projektstart zum Schulbeginn. Die Enttäuschung darüber kann ich kaum in Worte fassen.

    Mein letzter Anker ist das bevorstehende Gespräch mit einem Anwalt für Vereinsrecht aus Nürnberg. Ich hoffe, er wird Licht ins Dunkel bringen, wird Wege aufzeigen, um „Kolibris Leseecke“ auf sicherem Grund zu errichten. Das Thema Stiftung kehrt zurück – Stiftungsrat, staatliche Aufsicht, neue Gesetzespassagen. Ein Berg an Verantwortung und Anforderungen, und die Zeit rast davon. Aber „it’s part of the game“ sage ich mir – und ich verstehe, dass ich diesen Weg beschreiten muss, um meinen Traum zu schützen. Das Wort „Stiftung“ hallt trotzdem nach, ein Echo voller Komplexität und Ungewissheit.

    Doch zwischen den Schatten funkeln auch Lichtstrahlen: Trotz des nagenden Gefühls des Misserfolgs hebt sich die Erkenntnis ab, dass es sich nur um einen Rückschlag auf einem bislang reibungslosen Weg handelt. Die Anzahl der Bewerber für die ausgeschriebenen Stellen stimmt mich ebenfalls optimistisch. In den vergangenen Wochen haben sich überraschend viele Bewerber*innen gemeldet. Allen gemeinsam war ihre spürbare Begeisterung für das Projekt, die in mir immer wieder ein Gefühl der Zuversicht entfachte.

    Zwei von ihnen haben einen bleibenden Eindruck hinterlassen, und nächste Woche werde ich die Chance haben, sie persönlich zu treffen. Es erwärmt mich von innen, zu wissen, dass sie auch durch diesen Blog inspiriert wurden. Unabhängig davon, ob sie letztlich Teil des Teams werden, freue ich mich darauf, mit ihnen die ersten Schritte in „Kolibris Leseecke“ zu gehen. Bevor ich in den Urlaub starte, steht noch diese Begegnung an, über die ich berichten werde. Die Aussicht, Gleichgesinnte zu treffen, die ebenso fest an das Projekt glauben wie ich, gibt mir neuen Schwung.

    Ich spüre es in jeder Faser meines Seins: Wir werden Großes schaffen, und nichts wird uns stoppen. Dieser emotionale Wechsel von Höhen und Tiefen bereitet mich vor, stählt mich für alles, was noch vor uns liegt.

    Bis dahin,

    Nicole Feldberger

  • Teil 8: Von Höhen, Tiefen und neuen Horizonten

    Die Reise von „Kolibris Leseecke“ ist eine Achterbahn der Gefühle, von den Gipfeln der Begeisterung zu den Tälern der Enttäuschung und zurück. Wenn ich die letzten Monate Revue passieren lasse, fühlt sich alles wie ein lebhaftes Gemälde aus Emotionen, Ideen und wunderbaren Fortschritten an. Jener denkwürdige Abend im Mai, an dem aus einem Funken Wut eine zündende Idee wurde. Dann, wie dieser Gedankenfunke sich ausbreitete und schließlich den Namen „Kolibris Leseecke“ annahm. Dieser Name stand bald nicht nur für ein Projekt, sondern für eine Gemeinschaft aus Unterstützern, die gleichermaßen begeistert war, die Vision Wirklichkeit werden zu lassen.

    Aber wie jeder Weg hatte auch dieser seine Unebenheiten. Der erste Rückschlag kam, und ja, er war schmerzhaft. Doch er war nur ein kleiner Halt in diesem großen Abenteuer: Der Paradigmenwechsel von einer vermeintlich schnellen und kosteneffektiven Vereinsgründung hin zu einer kostenintensiven und subjektiv betrachtet überregulierten Stiftungsidee.

    Da reden wir von Gesetzen, Richtlinien und Advokaten! Doch im Rückblick war es nicht halb so schlimm, wie angenommen.

    Unser Advokat, ein wahrer Hochkaräter, erhellte den Pfad – und Entschuldigung, hier darf ich blumig und metaphorisch werden, schließlich habe ich just Passagen aus Coelhos „Der Alchemist“ (eines der Lieblingsbücher meines Mannes) verschlungen: „Wie ein frischer Frühlingswind klärte er alle dunklen Wolken des Zweifels und zeichnete den Weg in klaren, verständlichen Schritten vor mir. Seine unaufgeregte Art, verworrene Gesetze in einfache Worte zu fassen und dabei solch eine Zuversicht auszustrahlen, gab nicht nur Mut, sondern machte auch deutlich, dass die Gründung im Jahr 2023 absolut machbar ist. Und, ja, Qualität hat ihren Preis (nicht wahr, Herr Hochkaräter? :-) ) – doch das finanzielle Bild hat sich als überraschend klar und planbar entpuppt. Wenn Sie das lesen, lieber Advokat, danke ich Ihnen von Herzen. Sie sind einfach klasse!

    Ich schaue in mich hinein und stelle fest, dass das ständige Auf und Ab mich nicht entmutigt hat, im Gegenteil: Es ist bemerkenswert, wie viel Unterstützung ich bekommen habe und wie mich diese Energie anspornt. Selbst nach langen, zehnstündigen Tagen finde ich die Energie und Leidenschaft für dieses Projekt unerschöpflich und starte immer wieder mit vollem Elan durch.

    Und die guten Nachrichten reißen nicht ab: Ich darf zwei unglaubliche neue Mitglieder im Kolibri-Team begrüßen, Sarah und Dominik!

    Sarah, deren sprühende Energie und ungebremste Jugend mich von Anfang an in ihren Bann zog. Ihr quirliges Wesen und dieser Touch von „crazy“ – es ist einfach ansteckend! Und Dominik, er mag auf den ersten Blick ruhig und zurückhaltend erscheinen, aber hinter dieser Fassade verbirgt sich ein beeindruckend reflektierter junger Mann. Erstaunlich, wie fundiert und überlegt er trotz seiner jungen Jahre ist. Gemeinsam sind sie das perfekte Duo, und weiter geht es mit Metaphern (Coelhos Schuld!) – wie Feuer und Wasser. Ich bin voller Vorfreude, zu sehen, welche Synergien zwischen ihnen entstehen und bin überzeugt, dass sie „Kolibris Leseecke“ auf das nächste Level heben werden.

    In wenigen Stunden werde ich gemeinsam mit meinen Lieben im Flieger ins Land der aufgehenden Sonne sitzen, um eine lang gehegte Traum-Reise nach Japan zu erleben. Diese dreieinhalb Wochen gehören nur uns. Durchaus unsere Art, uns durch die gemeinsame Zeit gegenseitig dankeschön zu sagen, für alles, was wir einander geben. Mit Blick auf die Reise, die vor mir liegt, haben wir vier besondere Bücher ausgewählt. Alle vier sind preisgekrönte Werke der deutschen Jugendliteratur: „Als die Welt uns gehörte“, „Irgendwo ist immer Süden“, „After the Fire“ und „Wunder“. Bei „Kolibris Leseecke“ verfolge ich eine ambitionierte Philosophie: ich möchte nur Bücher anbieten, die ich/wir selbst gelesen haben. Ich will wissen, was die Kinder lesen, ich will mich mit ihnen darüber unterhalten können. Dies mag ambitioniert erscheinen, aber ich möchte es zumindest versuchen.

    Also, liebe Leser: die Vorfreude auf Japan kitzelt in mir und damit genug für heute, denn die kommenden dreieinhalb Wochen gehören nur meinem Mann und meinen Kindern. Es ist Zeit für mich, mich zu besinnen und die gemeinsame Zeit mit meiner Familie in vollen Zügen auszukosten. So schmerzlich es auch ist, „Kolibris Leseecke“ wird eine kurze Pause einlegen müssen. Daher sage ich fürs Erste „Tschüss“ – in etwa vier Wochen melde ich mich zurück, hoffentlich mit großartigen Neuigkeiten.

    Bis dahin,

    Nicole Feldberger

  • Teil 9: Von Mantras und schmerzenden Hintern

    Die Reise beginnt in Tokio Narita, nicht direkt in Tokio, sondern etwa 60 km weiter nordöstlich. Ein langer Flug von München über Doha liegt hinter mir. Ich fühle mich ein wenig wie ein Origami-Kranich, der gerade seine Flügel entfaltet. Die Flughafenhalle ist belebt und voller fremder Stimmen. Ein Gemisch aus Aufregung und Erschöpfung durchströmt mich. Seit dem zweiten Teil des Fluges bemerke ich Schmerzen an Stellen meines Hinterns, von denen ich nicht einmal wusste, dass sie existieren. Oh ja, das charmante Gefühl eines Langstreckenflugs in der Economy Class! Doch ich lasse mich von einem schmerzenden Hinterteil nicht entmutigen. Nein, ich bin hier, um zu erkunden, zu lernen und zu wachsen. Ich springe in unseren Mietwagen, bereit für die Abenteuer, die uns in Japan erwarten.

    Mit den Worten: „Auf der linken Spur zu fahren oder rechts zu überholen sollte dir ja nicht schwerfallen“, necke ich meinen Mann und lade ihn liebevoll dazu ein, die erste Fahrt von Narita zum vier Fahrstunden entfernten Fuji, unserer ersten Station in Japan, zu übernehmen – nichtsahnend, dass es sechs Stunden sein werden. Trotz des Navigationsgeräts, das uns eigentlich um den Großstadtdschungel Tokios herumführen sollte, hat die „Kürzeste Route“-Einstellung uns mitten durch den Linksverkehr der 37-Millionen-Metropole geleitet. Mitten durch! Es war eine Art Sightseeing-Tour aus der Autobahn-Perspektive, quasi ein „Tokio im Zeitraffer“. Ja, das passiert, wenn Technologie auf Menschen trifft – oder eher, wenn Technologie auf meinen Ehemann und mich trifft.

    Ich bin nicht immer mutig, wirklich nicht. Lange habe ich darüber nachgedacht, ob ich euch hier in meinem Blog tief in mein Inneres blicken lassen sollte. Aber heute traue ich mich, denn das bin ich, und es wird euch helfen, mich zu verstehen. Was nun folgt, ist ein Zwiegespräch zwischen meinem deutsch-strukturierten Verstand und meinem Herzen, das in eine Million Richtungen schlägt. Denn das ist mein ungeschöntes ich – daher eine kleine Vorwarnung, denn jetzt wird es emotional.

    Ich hatte einen dieser lebensverändernden Momente. Kennt ihr das auch? Momente, die alles für immer verändern, die prägend sind. Kurz vor dem gescheiterten Versuch des Aufstiegs auf den Fuji San hatte ich eine Begegnung mit einem älteren Herrn, einem Restaurantbesitzer, bei dem wir am Abend vor unserem geplanten Aufstieg essen waren. Ich bat ihn, mir eine Weisheit oder einen Spruch zu nennen, der die japanische Lebensart beschreibt – und ja, die Kommunikation fand, da beide Seiten ein sehr verbesserungswürdiges Englisch sprechen, in Etappen und halb pantomimisch statt. Dennoch, nach Minuten der verbalen und gestikulierenden Kommunikation antwortete er: „Ganbatte kudasai“ – frei übersetzt „Gib in allem dein Bestes“

    Bei jedem Atemzug, bei jedem Schritt auf dem Weg zum Gipfel des Fuji schwebte dieser schlichte Satz durch meine Gedanken. Ich versuchte, ihn in das Kontor meines Verstandes einzubuchen, als wertvolle Ware oder als erhellende Erkenntnis. Aber innerlich war dieser Satz an mein Herz und nicht an mein Verstand zu adressieren.

    In meinem Inneren führte mein Verstand ein Gespräch mit meinem Herzen:

    ‚Liebes Herz, ich höre, was du fühlst. Ich spüre die Wärme und Begeisterung, die aus deinen Kammern pulsiert, seit wir in Japan angekommen sind. Du hast dich nicht einfach nur angetan gefühlt; du hast dich verliebt in eine gesamte Kultur, in eine ganze Lebensphilosophie. „Ganbatte kudasai“ – ja, ich habe das nachgeschlagen. Aber du, Herz, du hast die Bedeutung in dem Moment verstanden, als die Worte ausgesprochen wurden. Das ist eine Art der Erfahrung, die ich nicht immer vollkommen greifen kann.‘

    Nun sage ich dir, liebes Herz, halte fest an dieser wundervollen Entdeckung. Lass diese einfache, aber tiefe Weisheit in dir zirkulieren, wie das Wasser in einem Zen-Garten, mit einer stillen, aber unaufhaltsamen Energie. Lass sie unsere Beziehung zu unseren Kindern bereichern, das Band zwischen mir und meinem Mann stärken, unsere Wahrnehmung der natürlichen Welt schärfen und jeden Beitrag in ‚Kolibris Leseecke‘ mit zusätzlicher Bedeutung versehen. Du hast mich, liebes Herz, an Orte geführt, die ich alleine niemals hätte finden können. Also bitte, sei meine Leitplanke auf dieser Lebensreise, meine inspirierende Muse, und lass uns gemeinsam unser Bestes geben. Ganbatte kudasai.

    Nach diesem Ausflug in mein innerstes ich schulde ich euch aber auch ein Update zu den Entwicklungen in „Kolibris Leseecke“. Unsere zwei neuen Gesichter, die das Projekt bereichern werden, Dominik und Sarah, sind ab Oktober offiziell an Bord, ebenso kann ich es kaum erwarten, meine Kinder mit einzubinden. Wenn ich an meine pubertierenden Sprösslinge denke, fällt mir ein weiteres (eigens für diesen Blog gegoogeltes) japanisches Sprichwort ein: „Kodomo no koro wa kamisama no menomae“ – „in der Kindheit sind wir vor den Augen der Götter“. Ihre jugendliche Perspektive ist ein unschätzbarer Schatz, den ich in meine Projekte und Pläne integrieren möchte. Dieser Ausflug ins Land der aufgehenden Sonne hat meine Beziehung zu meiner Familie vertieft. Wir haben erneut gelernt, dass es nicht die materiellen Dinge sind, die Glück bringen. Es sind die Momente der Stille, das kollektive Verstehen, die uns zusammenschweißen.

    Während meiner Reise hat die Marke „Kolibris Leseecke“ nun eine juristische Sicherheit erlangt. Sie wurde beim Marken- und Patentamt angemeldet und akzeptiert. Diese kleine, aber signifikante Errungenschaft macht das Projekt zukunftsfähig und das Herz, das ich aus Japan mitgebracht habe, noch stärker.

    Die Arbeit ruft, und ich bin voller Energie, die Initiative zu ergreifen. Schon in meinem Kopf formen sich die Konturen: ein Ort, der nicht nur Bücher beherbergt, sondern auch die Seelen der Kinder, die dort lesen werden. Und ich danke dem Himmel und der Erde, dass mein Rechtsbeistand mich auf die Möglichkeit einer Stiftung anstelle eines Vereins hingewiesen hat. Ein sicherer Hafen für die Menschen, die an meiner Seite stehen.

    In diesem Sinne: Ganbatte kudasai, liebe Leser. Wir sehen uns in Kolibris Leseecke, wo jedes Buch ein Universum und jedes Wort ein Stern ist.

    Mit tiefer Liebe und Dankbarkeit,

    Nicole